Warum es so wichtig ist, sein wahres Selbst auszudrücken

Wer bin ich? Warum bin ich hier? Und was ist der Sinn meines Lebens? Das sind die existenziellen Fragen unseres Lebens. Und doch beschäftigen wir uns nur sehr selten damit. Stattdessen lenken wir uns ab, erledigen Dinge, hetzen durch die Welt und hinterfragen nicht mehr, was das Ganze eigentlich soll.

Das Problem: Wenn wir uns diese Fragen nicht stellen, leben wir das Leben anderer. Wir tun Dinge, weil unsere Eltern es uns so vorgelebt haben oder weil andere es so von uns verlangen. Bis zu dem Punkt, an dem wir merken, dass wir zwar funktionieren, aber sich das Leben wie ein Kampf anfühlt. Denn tief im Inneren spüren wir, dass sich dabei etwas nicht richtig oder stimmig anfühlt. Weil wir nicht unsere eigene Wahrheit leben und nicht im Einklang mit unseren Werten handeln. Und immer wenn das passiert, entstehen innere Spannungen, die dann im Haareausreißen resultieren können.

„Du selbst zu sein in einer Welt, die ständig einen anderen aus dir machen will, ist der größte Erfolg von allen.“ (Ralph Waldo Emerson)

Sind Trichotillomanie-Betroffene zu angepasst?

Die meiste Zeit meines Lebens war ich überangepasst und auch heute ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich Dinge tue, um gemocht zu werden. Ich habe so oft in meinem Leben JA gesagt, obwohl ich ein klares NEIN gefühlt habe. Nur aus Angst, dass ich ansonsten ausgestoßen werde und am Ende allein dastehe. Bei vielen Trichotillomanie-Betroffenen kann ich dieses Verhalten beobachten – auch wenn es mir wichtig ist, niemanden in eine Schublade zu stecken. 

Möglicherweise hast auch du als Kind die fatale Entscheidung getroffen, die eigene Authentizität aufzugeben, um dazu zu gehören und geliebt zu werden. Vielleicht weil die Lebensumstände und Familienverhältnisse schwierig waren oder insgesamt zu wenig Sicherheit gegeben war. Und weißt du was? Das ist okay. Denn es war zu diesem Zeitpunkt eine richtig gute Strategie, um mit den Umständen zurecht zu kommen.

Möglicherweise ist diese Strategie aber nun zu eng geworden. Vielleicht merkst du, dass sie dir inzwischen viel mehr Kraft entzieht als sie dir gibt. Und es kann sein, dass sie das Haareausreißen verstärkt, weil du ein Leben führst, das sich anstrengend anfühlt und nicht deinen Werten oder Bedürfnissen entspricht.

Wenn dem so ist, ist es sinnvoll, dich mit den folgenden Fragen zu beschäftigen: Wer bin ich?Welche Bedürfnisse habe ich? Und was ist mir im Leben wichtig? Denn sobald du dir darüber im Klaren bist, wirst du immer besser für dich eintreten und dein wahres Selbst entfalten können. Du wirst spüren, dass du mehr bist als Trichotillomanie und dass du dieses Phänomen vielleicht sogar gar nicht mehr brauchst, um im Einklang mit dir selbst zu sein. 

„Die Belohnung für Anpassung ist, dass jeder dich mag, außer du dich selbst.“ (Rita Mae Brown)

4 Schritte, um dein wahres Selbst auszudrücken

Schritt 1: Eigene Stärken und Schwächen kennen lernen

Ich wollte immer mehr Selbstbewusstsein haben – ohne zu wissen, was das eigentlich heißt. Inzwischen ist mir klar, dass es einfach bedeutet, sich seiner selbst bewusst zu sein und alles anzunehmen, was dazu gehört.

Sobald du anfängst, deine Stärken und Schwächen genau zu beobachten, wirst du dir deiner Selbst immer bewusster. Wichtig dabei ist: Diese individuelle Kombination aus Stärken und Schwächen machen dich zu einem unverwechselbaren Unikat. Hör auf dich zu vergleichen und wertschätze, was du bist. Du wirst merken, je liebevoller und offener du mit deinen Schwächen umgehst, umso weniger Angst brauchst du zu haben, dass sie von anderen enttarnt werden. Und je besser du deine Stärken kennst, umso gezielter kannst du sie ausleben und einsetzen. 

Mit mehr Selbstbewusstsein wird es dir immer leichter fallen, dich so zu zeigen, wie du bist. Ganz egal, ob mit oder ohne Trichotillomanie.

Schritt 2: Bedürfnisse erkennen und erfüllen

Wenn wir sehr angepasst sind, kann es passieren, dass wir unsere Bedürfnisse hinten anstellen, ignorieren oder schlimmstenfalls gar nicht mehr wahrnehmen. Doch das können wir trainieren, denn hinter jedem Gefühl steckt ein Bedürfnis. Deshalb halte am besten mehrmals am Tag inne und frage dich: Wie geht es mir gerade? Und solltest du unangenehme Gefühle oder Anspannung wahrnehmen, erforsche weiter: Was brauche ich gerade? Ruhe, Liebe, Sicherheit, Anerkennung, Abwechslung, Bewegung oder ein offenes Ohr?

Hast du dein Bedürfnis erkannt, überlege, wie du es am besten befriedigen kannst. Vielleicht indem du eine kurze Pause machst, spazieren gehst oder dich hinlegst. Vielleicht indem du ein paar Minuten meditierst und dich erdest, damit du dich wieder sicher fühlst. Oder indem du dir Selbstmitgefühl schenkst und dich für das anerkennst, was du bist. 

Je bewusster du dir deiner Bedürfnisse wirst, umso sorgsamer kannst du dich um sie kümmern. Du wirst immer mehr Verantwortung für dich übernehmen und Selbstachtung verspüren.

Schritt 3: Werte definieren

Es ist extrem hilfreich, sich seine eigenen Werte bewusst zu machen. Denn Werte geben uns Orientierung und zeigen uns, wie wir unser Leben leben wollen. Ganz egal ob Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Mitgefühl, Beharrlichkeit, Risiko, Sicherheit oder Freundlichkeit – sobald du herausgefunden hast, was dir im Leben wichtig ist und dies in Form von 5-10 Werten dokumentiert hast, wirst du dein Leben immer besser danach ausrichten können. Zudem wirst du genau bemerken, sobald einer deiner Werte verletzt wird und kannst schlussendlich besser für dich einstehen und dich von anderen abgrenzen.

Auf diese Weise wirst du ganz natürlich deine Selbstwirksamkeit und deinen Selbstwert steigern und immer besser im Einklang mit deinem wahren Selbst sein. 

Schritt 4: Sein wahres Selbst ausdrücken

Zu guter Letzt ist es natürlich wichtig, das eigene Verhalten an seinen Bedürfnissen und Werten auszurichten, seinem wahren Selbst eine Stimme zu geben und klar zu formulieren, was einen bewegt. Wahrscheinlich ist dies der schwierigste Schritt überhaupt, weil es bedeutet, dass du Konflikte aushalten musst. Mithilfe einer regelmäßigen Achtsamkeitspraxis fällt dies aber leicht, weil du lernst, auch unangenehme Gefühle zuzulassen und zu halten. Zudem verfällst du nicht mehr so leicht in frühere Verhaltensmuster und wirst Konflikten nicht länger aus dem Weg gehen. 

Außerdem gibt es die Möglichkeit, deine Bedürfnisse klar und deutlich in der Ich-Form auszudrücken. Du sprichst von dir und schenkst dadurch deinem Gegenüber die Möglichkeit, dich besser zu verstehen und selbst Position zu beziehen. Je öfter du das machst, umso leichter wird es dir fallen, eigene Grenzen zu kommunizieren. Und du wirst merken, je offener und verletzlicher du dich zeigst, umso mehr Nähe wird entstehen.

Sobald du Bedürfnis- und Werteorientiert handelst, verleihst du deinem wahren Selbst Ausdruck. Du lernst, dass es wichtiger ist, authentisch zu leben statt von allen gemocht zu werden. Und das ist wahre Freiheit.

„Sich für sich selbst zu entscheiden wird immer irgendwelche Leute enttäuschen. Je früher wir dies akzeptieren und unseren Frieden damit machen, desto besser.“ (Florence Given)

Zurück zu dir

Sich selbst richtig gut kennen zu lernen und für sich einzustehen, ist ein Prozess. Aber ein Weg, der sich lohnt. Denn je mehr du im Einklang mit deinem wahren Selbst bist und dein Leben danach ausrichtest, umso weniger innere Kämpfe wird es geben. Und aus eigener Erfahrung weiß ich: Je mehr Frieden in dir einkehrt, umso weniger wirst du das Haareausreißen benötigen. 

Wie’s geht? Mithilfe der Achtsamkeit wirst du dich richtig gut kennen lernen und deine Bedürfnisse immer besser verstehen. Diese Selbstbeobachtung wird zudem deine Stärken und Schwächen sowie deine wichtigsten Werte offenbaren, die wir mithilfe verschiedener Reflektionsübungen klar herausarbeiten werden. Schlussendlich lernst du, verschiedene Kommunikationstechniken anzuwenden, um deinen Bedürfnissen Ausdruck zu geben und Grenzen zu setzen – ohne andere zu verletzen.

Verschiedenste Methoden kommen hier zusammen, die dich auf deiner Reise zu deinem wahren Selbst und deinem Selbstausdruck unterstützen werden – von der Achtsamkeitspraxis über Akzeptanz- und Commitment-Therapie bis hin zur gewaltfreien Kommunikation. Und alle sind wichtige Bausteine des 12-Wochen-Programms. Bist du bereit?

„Vielleicht müssen wir ja gar nicht suchen, wer wir sind, sondern uns bloß daran erinnern, wer wir schon immer waren.“ (Clara Louise)