Trichotillomanie mit Selbstmitgefühl begegnen

In unserer westlichen Leistungsgesellschaft haben wir meist nicht gelernt, mitfühlend uns selbst gegenüber zu sein. Von klein auf wurden wir darauf getrimmt, besser als andere zu sein oder die Erwartungen anderer zu erfüllen. Das Resultat: Wir haben diese Leistungsgedanken so sehr verinnerlicht, dass wir uns selbst permanent maßregeln, uns faul fühlen, wenn wir mal nichts tun und uns kritisieren, wenn wir einen Fehler gemacht haben. 

Das ist kein spezielles Problem von Trichotillomanie-Betroffenen, aber es nimmt hier einen besonders großen Stellenwert ein. Denn diese Haltung verschärft den bereits vorhandenen Leidensdruck enorm.

 

Herz in Händen

„Wenn dein Mitgefühl dich selbst nicht einschließt, ist es unvollkommen.“ (Buddha)

Was bedeutet Selbstmitgefühl?

Selbstmitgefühl bedeutet fürsorglich und wohlwollend mit sich selbst umzugehen – besonders in schwierigen Zeiten. Denn vor allem, wenn wir leiden, glauben wir oft, dass etwas nicht mit uns stimmt und wir nicht richtig sind, so wie wir sind. Solche Gedanken führen zu Selbsthass und verstärken unser Leid.

Viel besser ist es, sich in leidvollen Momenten auf die gleiche Weise zu behandeln, wie wir es mit einem guten Freund oder einer guten Freundin tun würden, wenn er oder sie Probleme hat. Nämlich einfühlsam, liebevoll und freundlich. Denn sobald wir uns selbst Wärme und Akzeptanz schenken, werden wir zum besten Freund für uns selbst. Und das ist so unglaublich heilsam!

„Mit Selbstmitgefühl schenken wir uns selbst die gleiche Güte und Fürsorge, die wir auch einem guten Freund oder einer guten Freundin schenken würden.“ (Kristin Neff)

Warum du dir mit Selbstmitgefühl begegnen solltest

Als ich damals merkte, dass ich mit dem Haareausreißen nicht aufhören kann, glaubte ich, dass ich nicht richtig sei. Ich schämte mich dafür und machte mir permanent Vorwürfe. Ich litt also zum einen unter der Trichotillomanie, noch mehr aber unter meinem harten Urteil über mich selbst. Das führte dazu, dass ich mich noch mehr anstrengte, noch angepasster wurde und meine Authentizität noch mehr aufgab. Erkennst du dich wieder in dieser Beschreibung?

Dabei vergessen wir eines: Ich bin ein Mensch. Du bist ein Mensch. Kein Mensch ist perfekt. Jeder macht Fehler oder gerät mal in Not. Du, ich sowie alle anderen auf dieser Welt verspüren hin und wieder Scham oder Hilflosigkeit. Und das ist okay, denn genau das macht unsere Vollkommenheit aus.

Wenn du also der Tatsache ins Auge siehst, dass Leid zum Leben dazu gehört und Teil unserer menschlichen Erfahrung ist, kannst du deinen inneren Monolog ändern und dir auf sanfte Weise sagen: „Es ist okay, dass ich hin und wieder leide und glaube, ich sei nicht liebenswert. Es ist schwer, das zu fühlen. Aber ich bin nicht allein. Auch andere Menschen haben diese Gefühle. Möge ich gut für mich sorgen, damit es mir bald besser geht.“

Leider glauben die meisten Menschen nach wie vor, dass Selbstkritik ein guter Motivator ist, aber in Wirklichkeit führt er nur zu Versagensängsten. Selbstmitgefühl hingegen stärkt dein Selbstvertrauen und motiviert dich nachhaltig, weil du dich selbst wichtig nimmst. Solltest du also das nächste Mal Haare ausreißen, sei freundlich zu dir. Statt dir vorzuwerfen: „Ich habe es schon wieder nicht geschafft.“, kannst du dir wohlwollend zuflüstern: „Ich habe es heute nicht geschafft, aber morgen ist ein neuer Tag.“

Das ist der Moment, an dem du Leid in Liebe und Freundlichkeit verwandelst. Und das ist so kraftvoll für deinen Heilungsweg. Auch diverse Forschungen bestätigen übrigens, dass Menschen mit Selbstmitgefühl eher in der Lage sind, mit schwierigen Situationen, Traumata oder anderen Krankheiten zurecht zu kommen.

Während die Selbstkritik fragt: Bin ich gut genug?, interessiert das Selbstmitgefühl nur eines:  Was ist gut für mich?

Zurück zu dir

Um dein Leid zu lindern, ist es ganz essenziell, Mitgefühl zu entwickeln und freundlich mit dir selbst umzugehen.

Und das ist möglich: Denn wie bei der Achtsamkeit ist auch die selbstmitfühlende Haltung trainierbar. Mithilfe verschiedener Übungen und Meditationen kannst du nach und nach deinen inneren Monolog verändern und dir immer mehr Selbstfürsorge schenken.

Ein bewährter Weg für mehr Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl ist das 8-Wochen-Programm von Kristin Neff und Christopher Germer, namens MSC. MSC steht für Mindful Self-Compassion und ist ein wichtiger Bestandteil meines 12-Wochen-Programms.

„Dein Herz soll ein schöner und friedlicher Ort sein, aus dem heraus du etwas Wertvolles für dich und andere Menschen tun kannst.“ (Clara Louise)